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Das Leben hinter den Masken. Harouna Marané in Ouagadougou, als es noch Angst vor “der Krankheit“ gab.

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Günther Lanier, Ouagadougou, 2.12.2020

Der burkinische Meisterfotograf Harouna Marané zielt mit der Kamera nicht auf Menschen, um Bilder zu schaffen – er kooperiert mit ihnen und schafft mit ihnen gemeinsam Bilder. Aus den Objekten seiner Fotos werden so Subjekte. Einige Ergebnisse solcher Zusammenarbeit, solcher Interaktion sind derzeit und nur mehr bis zum 8. Dezember im Espace Culturel NaPam Béogo[1] in Gounghin Nord in Ouagadougou zu sehen. Es handelt sich um ein vom African Culture Fund[2] finanziertes Projekt – Harouna ist einer der Preisträger des ersten Durchgangs ihrer SOFACO-Ausschreibung[3].

Vor oder beim oder nach dem Beten schaut ein Mädchen Harouna in die Augen, erwidert den Blick seiner Kamera[4]. Deren Objektiv, deren Linse wird Medium. Nun sind wir AusstellungsbesucherInnen – und ArtikelleserInnen – in Kontakt mit der Betenden, schauen ihr in die Augen und sie begegnet uns. An uns ist es, ihrem durchdringenden Blick standzuhalten.

Bei der Vernissage letzten Samstag frühabends erklärte Harouna den Kontext[5]: Er und seine Kamera befanden sich am Place de la Nation, seit dem Volksaufstand Ende 2014 oft auch wieder Revolutionsplatz genannt. Es war am 31. Juli 2020. Gefeiert wurde Tabaski, so heißt in Westafrika das Opferfest (Eid ul-Adha). Nur war heuer alles anders: Während die Betenden beim kollektiven muslimischen Gebet sonst dicht gedrängt in Reihen stehen und knien und sich verneigen, Bein an Bein, galt es dieses Mal, den Mindestabstand zu wahren.

Und das Tragen von Masken war Vorschrift.

Es sind diese Masken, um die sich Harounas Ausstellung dreht, Symbol “der Krankheit“, die seit Februar-März 2020 Afrika bedrohte, ganz überwiegend aus Europa kommend.

Wir könnten die Ausstellung fast für eine Übung in Archäologie, in Erinnerungsarbeit halten. Denn sehen wir uns im burkinischen Alltag um, so sind die Masken weitestgehend wieder verschwunden. Die zweite Welle, die derzeit große Teile Europas in einen neuerlichen Lockdown zwingt, ist hier nicht angekommen. Und überhaupt sind wir bisher glimpflich davongekommen: 2.931 Fälle und 68 Tote wurden staatlicherseits bis 29. November registriert[6]. Doch als im März die ersten Covid-Fälle bekannt wurden[7], herrschte zunächst einmal Panik. Über die recht strengen Maßnahmen der Regierung zum Eindämmen der Krise murrte kaum wer.


Vater und Sohn beim Gebet, festlich gekleidet. Wieder so ein Blick – dieses Mal nicht in die Kamera

Das hat sich seither grundsätzlich geändert. Denn die befürchtete Katastrophe – das Gesundheitssystem des Landes ist ja schon in normalen Zeiten überfordert – ist nicht eingetreten. Wir wissen noch immer nicht, woran es liegt, dass Burkina (wie andere afrikanische Länder auch) weitgehend verschont wurde. Dass hier viel mehr an der frischen Luft gelebt wird, Fenster meist offen sind und die der Virusausbreitung so zuträglichen geschlossenen Räume sich auf die klimaanlagegekühlten konzentrieren, hat jedenfalls eine Rolle gespielt. Höchstwahrscheinlich kommt auch dazu, dass die meisten Burkinabè von frühester Kindheit an einer Vielzahl von Krankheitserregern ausgesetzt sind und daher über ein gut trainiertes körpereigenes Abwehrsystem verfügen.

Jedenfalls hat die anfängliche Panik seit nunmehr schon vielen Monaten Leichtsinn Platz gemacht. Nur an wenigen Orten wird Maskenpflicht befolgt. Mindestabstand hält so gut wie niemand[8]. Hoffen wir, dass das gut geht. Der Wahlkampf der soeben über die Bühne gegangenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mit seinen großen Menschenansammlungen hat die Ansteckungsgefahr beträchtlich erhöht und die Fallzahlen sind in letzter Zeit auch tatsächlich wieder etwas angestiegen – 45 am 29. November –, auch wenn sie sich im Vergleich mit Österreich oder anderen europäischen Ländern fast lächerlich ausnehmen.


Bekannte Harounas, wenn ich mich recht erinnere handelt es sich um einen Fotografen und einen Journalisten, inszenieren eine vorschriftsgemäße Begrüßung

Harounas Ausstellung handelt jedenfalls von der Zeit, als “die Krankheit“ von den allermeisten ernst, sehr ernst genommen wurde.


Ein bekannter Griot (Preissänger), der bei allen politischen Ereignissen der Hauptstadt dabei ist

Mittlerweile zeichnet sich ein Ausweg aus der weltweiten Pandemie ab. Bisher wurden 260 Covid-Impfstoff-Kandidaten entwickelt. 60 davon werden bereits klinisch getestet, das heißt an Menschen erprobt. Drei davon – die Pfizer/BioNTech-, Moderna mRNA-1273- und Oxford ChAdOx1-S-Impfstoffe – befinden sich in Phase 3 der klinischen Tests und scheinen vielversprechend. Dabei bedarf der Impfstoff mit der besten Wirksamkeit (95%) leider vor seiner Verwendung durchgehend sehr tiefer Temperaturen (minus 70°C), was seine Anwendung im burkinischen und afrikanischen Kontext ausschließen dürfte[9]. Hingegen sollte sich der Oxford-Impfstoff – bei dessen Entwicklung das Niedrighalten der Kosten ein wesentlicher Faktor war – gut eignen[10]. Die für ihn vor Gebrauch nötigen 2° bis 8°C sind zu schaffen.

Doch zurück zu Harounas Ausstellung.

In der Zeit, als der Virus noch Angst und Schrecken verbreitete, hat er viel mit Kindern “gearbeitet“, auch mit seinen eigenen. Wo ist die Grenze zwischen Ernst und Spiel?

Er stellte Masken zur Verfügung und sie kamen dann mit ihren Vorschlägen, mit ihren “Projekten“.


“Papa komm, das musst Du fotografieren“. Harounas Tochter mit ihrem ebenfalls maskierten Teddybären.

Masken bedecken Mund und Nase. Reden wir miteinander, so ist der Mund ein wichtiger Fokus. Der ist verborgen. Wer in einer Gruppe spricht, ist schwerer auszumachen. Wie sie oder er spricht, ist unsichtbar. Führen Masken dazu, dass wir “das Gesicht verlieren“?[11]

Auch zu solchem Gesichtsverlust hat Harouna experimentiert. Was, wenn die Verschleierung nicht nur Mund und Nase betrifft, sondern weiter zunimmt? Zu diesem Thema gab es in Ouagadougou schon vor gut zwei Jahren eine Ausstellung mit Fotos von Harouna – da war der muslimische Schleier für die Frauen der Fokus[12].

Von der Covid-Maske ausgehend, trieb Harouna mit seinen GefährtInnen das Spiel jenseits aller religiösen Bedeutung weiter. Gesicht und Kopf verschwinden auf einigen Fotos ganz.

Auf einem Foto hat ein Kind eine Kalebassenhälfte aufgesetzt. Unter “normalen Umständen“ darf eineR das nicht. Das wird Kindern von früh an beigebracht. Das bringt Unglück. Oder es zeigt ein großes Unglück an.

Ich will dieses Foto nicht zeigen, habe Harouna nicht darum gebeten, will das Unglück nicht heraufbeschwören.

Seine Intention ist freilich eine andere. Er verweist auf die Katastrophe, die Corona anderswo auf der Welt verursacht hat, die uns in Burkina bisher weitestgehend erspart geblieben ist.

Das Gesicht zu verlieren, riskieren wir wohl kaum.

Augen werden deutlich wichtiger. Harounas wunderbare Fotos zeigen es immer wieder. Blicke gewinnen an Bedeutung.

Schauen wir einander mehr an? Mit mehr Nachdruck?

Nur: Was passiert mit unserem Lächeln?

***

Endnoten:

[1] Siehe http://www.napam-beogo.com/. Bei der Vernissage präsentierte der NaPam-Béogo-Gründer Lassane Ouédraogo Harouna Marané dem Publikum.

Hier die Einladung zu Ausstellung und Vernissage:

[2] Siehe https://www.africanculturefund.net/.

[3] SOFACO = Solidarity Fund for African Artists & Cultural Organisations oder Fonds de Solidarité pour les Artistes et les Organisations culturelles en Afrique. Der Aufruf der Phase 1 (Batch 1/lot 1) wurde am 23. Mai 2020 lanciert. Am 26.9.2020 wurde eine Phase 2 gestartet – deren PreisträgerInnen werden demnächst bekanntgegeben. Sinn und Zweck ist es, die Resilienz (dieses in der EZA und nicht nur dort gerade sehr beliebte Schlagwort bedeutet Widerstandskraft) afrikanischer KünstlerInnen und AkteurInnen der Kulturszene zu fördern, deren Aktivitäten durch die Covid-19-Krise beeinträchtigt worden sind. Harouna hat seine Ausstellung “Vivre“ genannt, “Leben“ (das Zeit-, nicht das Hauptwort).

[4] Alle Fotos dieses Artikels wurden mir von Harouna Marané zur Verfügung gestellt. Un grand merci, Harouna !

[5] Hier zwei Fotos von Harouna, bei seiner allgemeinen Einleitung und dann beim Erklären der einzelnen Bilder:

[6] Siehe https://lefaso.net/spip.php?article101121.

[7] Ich habe auf Radio Afrika schon einmal zu Covid in Burkina geschrieben: Siehe Günther Lanier, Dissonanzen in sesshinlosen Zeiten. Staatlich verordnete Vereinzelung im Zustand der Belagerung, Radio Afrika TV 18.3.2020, https://radioafrika.net/2020/03/18/dissonanzen-in-sesshinlosen-zeiten/.

[8] Siehe Günther Lanier, Burkina Fasos Umgang mit dem Virus, in: International IV-2020 pp.44-47, Wien (International) Sept. 2020.

[9] Siehe Benjamin Kagina, COVID-19 vaccine trials in Africa: what’s promising, and what’s problematic, The Conversation 1.12.2020, https://theconversation.com/covid-19-vaccine-trials-in-africa-whats-promising-and-whats-problematic-150967.

[10] Siehe ebd. sowie Michael Head, Why the Oxford AstraZeneca vaccine is now a global gamechanger, The Conversation 23.11.2020, https://theconversation.com/why-the-oxford-astrazeneca-vaccine-is-now-a-global-gamechanger-150660.

[11] Vergleiche dazu Fabrice Raffin, Le masque nous fait-il perdre la face ? The Conversation 20.11.2020, https://theconversation.com/le-masque-nous-fait-il-perdre-la-face-150571.

[12] Siehe Günther Lanier, Den Blick brechen. Fotografieren gegen Vorurteile, Radio Afrika TV 12.6.2018, http://alexisnshimyimanan5.sg-host.com/2018/06/12/den-blick-brechen/

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