Burkinas Dorf in der Felswand.
Günther Lanier, Ouagadougou, 8.4.2020.
Unser heutiger Ausflug in die Berge ist virtuell. So brauchen wir uns weder um die Gefahren terroristischer Attacken kümmern (generell heißt es: je mehr wir uns der malischen Grenze nähern, umso gefährlicher wird es), noch benötigen wir eine Ausnahmegenehmigung zum Verlassen der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou und fürs Passieren diverser Städte en route ins Warra-Land. 530 km sind es, 490 davon – durch Bobo-Dioulasso und Banfora bis Sindou[1] – auf geteerten Straßen, dann noch ungefähr 40 km westwärts auf kleinen Lateritstraßen bis fast ans Dreiländereck. Niansogoni[2] liegt 4 km von der malischen und 6 km von der ivorischen Grenze entfernt. “Bergiger“ als hier geht es in Burkina nicht mehr – etwas weiter nördlich liegt der Ténakourou, mit 749 Metern des Landes höchste Erhebung[3].
Das Felsendorf von Niansogoni ist allem Anschein nach ein enger Verwandter der Dogon-Dörfer in Mali, 450 km Luftlinie von hier nordöstlich. Der Felsabbruch ist auch ebenso beeindruckend wie die ungleich berühmtere Falaise de Bandiagara der Dogon, hat allerding deutlich das Nachsehen, was die Länge betrifft. Auch entwickelte er sich nie zur Attraktion für TouristInnen. Das liegt sicher daran, dass MalierInnen es sehr viel besser verstehen, ihr Land zu “verkaufen“, Burkinabè schrecken meist vor jeder Art von “Angeberei“ zurück.
Die Warra, die hier leben, waren einst Flüchtlinge, haben sich vor kriegerischen Auseinandersetzungen in die Berge zurückgezogen. Wurden sie angegriffen, konnten sie aus der Höhe Felsbrocken auf die Angreifer werfen. Sie sollen kein Erbarmen mit ihren Feinden gekannt haben und wurden daher “Raubkatzen“ genannt. “War(r)a“ heißt auf Dioula, der Verkehrssprache in dieser Gegend, ebendas. Und die alten Männer sind stolz auf diesen Namen und ihren Ruf als “Volk der Panther“.
Dass sie ursprünglich weiter westlich lebten, darin scheinen sich alle einig zu sein. Doch wo genau, ob im heutigen Mali oder vielleicht sogar in Liberia, ist weder überliefert noch WissenschaftlerInnen bekannt. Ob der unbekannten Herkunft vermuten Letztere, dass die Warra zu den frühesten SiedlerInnen der Gegend gehören.
Die Eigenbezeichnung ist übrigens “sama“ für mehrere Warra, “samni“ für eine.n Einzelne.n. Ihre Sprache nennen sie “samoi“ und die gehört zu den Gur-Sprachen[6] wie Kasséna, Lobiri und Mooré[7]. Die oft behauptete Verwandtschaft der Warra zu den Senufo ist aus linguistischer Sicht unwahrscheinlich, denn Senufo ist keine Gur-Sprache[8].
Die Warra wohnen in nur fünf Dörfern: Outourou, Néguéni, Faniagara, Sourani und eben Niansogoni. Bei einer Zählung 2005[10] waren sie insgesamt 3.359. Das ist nicht viel, die Sprache gilt daher als vom Aussterben bedroht.
Wie gesagt lebten sie früher in den unzugänglichen und daher leicht zu verteidigenden Bergen. Die letzten Warra sollen erst 1980 in die Ebene hinuntergezogen sein.
Unter den Warra sind die MuslimInnen heute am stärksten vertreten, etwa 50% sollen sie ausmachen. Zusammen etwa 40% sind ProtestantInnen und KatholikInnen.
Doch solch religiöse Bekenntnisse wirken manchmal wie eine dünne Lackschicht, die Tieferliegendes, Essentielleres nur ungenügend verbirgt. 50% mögen MuslimInnen sein und 40% ChristInnen, aber 100% sind AnhängerInnen der traditionellen Religion…
Jedenfalls werden die alten Bräuche noch befolgt und Riten und Zeremonien nach wie vor abgehalten. Wer wollte es schon riskieren, die AhnInnen zu erzürnen? Und in den Traditionen der Warra spielen ihre früheren Häuser in den Felsen eine wesentliche Rolle.
Doch wir, die wir von den Annehmlichkeiten der Moderne abhängig sind, lassen wir die Panther unter sich und steigen wir wieder hinunter in die Ebene.
Endnoten:
[1] Die zwei Male, die ich hier unterwegs war, waren die 50 km Banfora-Sindou noch Lateritstraße. Doch am 11. Juli 2014 wurde die neue Teerstraße offiziell eingeweiht, vom letzten Premierminister Blaise Compaorés. Nicht nur die Europäische Union, auch die Millennium Challenge Corporation betoniert offensichtlich gerne… Siehe https://lefaso.net/spip.php?article60050.
[2] Das dem Artikel vorangestellte Foto zeigt das alte Niansogoni in der Felswand, Foto Petra Radeschnig, Mai 2003.
[3] Die Durchschnittshöhe liegt bei 400m, der tiefste Punkt (125m) liegt im Südosten, im Bezirk Pama.
[4] Niansogoni, Detail. Foto Petra Radeschnig, Mai 2003.
[5] Das alte Niansogoni in der Felswand, Foto GL 27.12.2012.
[6] Die linguistisch nächsten Verwandten der Sama sind die Natioro und die Paleni. Die Gur-Sprachen gehören zur Nordgruppe der Volta-Kongo-Sprachen, diese wiederum zu den Atlantik-Kongo-Sprachen, die den Niger-Kongo-Sprachen angehören.
[7] Die Aufzählung nennt nur wenige Beispiele. Kasséna wird in Süd-Burkina rund um Pô und Tiébélé und in Nordghana gesprochen, Lobiri in der burkinischen Region Südwest (Achtung: diese liegt östlich der Region Kaskaden, der Niansogoni angehört) und in der nördlichen Côte d’Ivoire, Mooré ist die Sprache der Mossi, die etwa die Hälft der Burkinabè stellen.
[8] Offensichtlich wurden früher sowohl Dogon als auch die Senufo-Sprachen als Gur-Sprachen angesehen, heute werden sie als separate Sprachen der Nordgruppe der Volta-Kongo-Sprachen angesehen.
[9] Screenshot aus “Histoire d’un Peuple: Les Warra au Burkina Faso“, also “Geschichte eines Volkes: die Warra Burkina Fasos“, 26-minütiges Video des staatlichen burkinischen Fernsehsenders RTB von Gambila Casimir Sanfo, März 2011, https://www.youtube.com/watch?v=YGc4h3NxUWg. Aus diesem Video stammen viele Informationen meines heutigen Artikels.
[10] Die zuständige Präfektin von Loumana spricht im Film von einer “administrativen Zählung“. Die bundesweite Volkszählung hat erst 2006 stattgefunden. Loumana ist Département/Gemeinde. Es gehört zur Provinz Léraba, die wiederum Teil der Region Kaskaden ist.
[11] Niansogoni, Detail, Foto GL 27.12.2012.
[12] Blick vom Felsendorf Niansogoni in die Ebene, Foto GL 27.12.2012.